Wer nicht verdrängen will, muss bauen

Die urbanen Zentren der Schweiz sind als attraktive Arbeits- und Lebensräume Magnete für Menschen aus dem In- und Ausland. Wohnungsknappheit und steigende Preise sind eine Folge davon. Darauf reagieren viele mit Skepsis. Dabei wird Neubau oft als Teil des Problems gesehen: Er wird als Preistreiber und Magnet für noch mehr Zuwanderung wahrgenommen. Das ist nachvollziehbar – und doch schadet uns diese Haltung am Schluss selber.

Fehlt der Wohnraum, dann fehlt er nämlich gerade auch den Ansässigen, die umziehen müssen, weil sie von zu Hause ausziehen, eine Familie gründen oder die Arbeitsstelle wechseln. Intuitiv denken wohl viele, dass neue Wohnungen primär für Zugewanderte gebaut werden. Dass dies nicht zutrifft, zeigt unsere neue Wohnraumstudie für die Zürcher Handelskammer: Neu erstellte Wohnungen gehen nämlich überwiegend an Ansässige.

Oft ziehen die Leute innerhalb des Quartiers um

Drei Viertel derer, die in der Agglomeration Zürich in eine Neubauwohnung ziehen, leben schon seit mehr als zehn Jahren in der Schweiz. Nur gerade 8 Prozent kommen direkt aus dem Ausland. Ähnlich wie wir es von Genossenschaften mit ihren Wartelisten kennen, gibt es bei Neubauwohnungen einen impliziten Inländervorrang. Die ansässige Bevölkerung nimmt Bauprojekte frühzeitig wahr, ist besser informiert, kann oft langfristig planen und eher Wohneigentum erwerben als Zugezogene.

Interessanterweise ziehen viele aus der unmittelbaren Umgebung in Neubauwohnungen. Sie geben dabei ihre bisherige Wohnung im Quartier frei. Das durch Neubau mobilisierte Wohnungsangebot im Quartier verschafft ansässigen jungen Paaren und Familien Wohnraum. Diese würden sonst verdrängt. Expats und andere Zuwanderer werden nicht durch Neubauwohnungen angezogen, sondern weil es hier gute Arbeit gibt. Überdurchschnittlich oft bleiben ihnen nur überteuerte Altbauwohnungen, die die Ansässigen links liegen lassen.

Auf die grüne Wiese lässt sich in Ballungsräumen kaum noch bauen. Ehemalige Industrieareale zur Umnutzung gibt es immer weniger. Oft bleibt nur der Ersatzneubau. Dieser entlastet den Wohnungsmarkt jedoch nur, wenn deutlich mehr Wohnungen entstehen, als abgerissen werden. Und nur dann ist der Ressourcenverbrauch vertretbar.

Es braucht höhere Nutzungsziffern – und Auflagen

Gerade an zentralsten Lagen werden heute jedoch viele Häuser abgerissen und mit ähnlich grossen Volumen ersetzt. Auf Jahrzehnte hinaus werden Weichen für zu wenig und damit auch zu teure Wohnungen gestellt. Die Gefahr ist gross, dass wir heute ganze Quartiere erneuern, ohne viel Wohnraum zu gewinnen. Verhindern können wir dies nur mit einer raschen Ausweitung der Nutzungsziffern an gut erschlossenen Lagen. Aufzonungen lassen sich mit Auflagen für die Investoren verbinden: Mehr Ausnutzung gibt es nur mit einem Anteil an preisgünstigen Wohnungen für tiefere Einkommen. 

Heute werden allzu oft staatliche, private und genossenschaftliche Akteure gegeneinander ausgespielt. Das können wir uns eigentlich nicht leisten. Für die dringend nötige Wohnbauoffensive brauchen wir alle. Zu einer solchen Offensive kommt es allerdings nur, wenn sie von der Bevölkerung gefordert und mitgetragen wird. Und dies geschieht nur dann, wenn eine Erkenntnis reift: Ohne neuen Wohnraum gibt es auch keinen bezahlbaren Wohnraum für all jene von uns, die eine neue Wohnung suchen.